Die Bedenken der Kritiker richten sich vor allem gegen die neuen Impfstoffe, die jetzt von Pharmafirmen in großer Eile entwickelt werden. Die Hersteller mischten Wirkverstärker bei, was die Produktion eines Impfstoffes insgesamt billiger und schneller mache und somit den Interessen der Pharmaindustrie entgegenkomme. „Wirkverstärker verstärken aber nicht nur die erwünschten Effekte, sondern auch die unerwünschten, von denen einige sehr unangenehm sein können“, sagte Becker-Brüser. Der Pharmakolog Peter Schönhöfer warnte: „Es wird ein Experiment an gesunden Menschen mit einem möglicherweise schädlichen Stoff gemacht.“
Der Epidemologe Tom Jefferson kritisierte die Hersteller: „Hier herrscht ein Ungleichgewicht zwischen deren Empfehlung von pharmazeutischen Gegenmaßnahmen und der Vernachlässigung von hilfreichen, effektiven, billigen und recht harmlosen Gegenmaßnahmen wie Händewaschen, die in der Tat Leben retten.“ Diese Unverhältnismäßigkeit schlage eindeutig zugunsten der Pharmaindustrie und zum Risiko, wenn nicht sogar zum Schaden der Bevölkerung aus.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO, die auf die schnelle Herstellung von Impfstoffen drängt, sei inzwischen nicht mehr unabhängig, kritisierte Professor Schönhöfer. Heute „überwiegen die Industrieeinflüsse, teilweise auch in der Personalidentität zwischen WHO und Industrie.“ So wechselte dem ‚Cicero’-Bericht zufolge der frühere WHO-Influenzadirektor Klaus Stöhr 2007 zu Novartis, dem drittgrößten Pharmakonzern. Novartis habe nicht nur Kooperationsverträge mit dem Tamiflu-Hersteller Roche, sondern halte obendrein 33 Prozent des Unternehmens. Außerdem sei Novartis zu rund 60 Prozent am Tamiflu-Produzenten Chugai Pharmaceutical beteiligt. Chugai sitzt in Japan, dem Land mit dem höchsten Tamifluverbrauch. Bereits 2008, lange vor Ausbruch der Schweinegrippe, habe das Unternehmen seinen Aktionären eine „531-Prozent-Gewinnsteigerung“ durch neue Grippemittel für das Jahr 2009 versprochen. Roche generierte mit Tamiflu bis 2004 nur 30 Millionen Schweizer Franken Jahresumsatz. Im Vogelgrippejahr 2006 sei der Umsatz auf knapp eine Milliarde Franken explodiert.